Interviewte: Petra Goerke; Ort: Leimen
Was genau tust Du fürs Klima? Und seit wann?
Ich betreibe exzessiv foodsharing seit über sechs Jahren. Zudem fahre ich sehr viel Fahrrad, und wir haben ein Elektroauto mit einer eigenen Solaranlage auf dem Hausdach. Meiner Meinung nach macht es keinen Sinn, wenn Atomstrom aus der Steckdose kommt. Kleidung kaufe ich ganz selten. Ansonsten fliegen wir nicht in den Urlaub und wir fahren auch auf keinen Kreuzfahrtschiffen mit.
Wie bist Du zum foodsharing gekommen?
Beim Herumsurfen auf facebook. Es gab mal früher eine facebook Gruppe foodsharing, in dieser Gruppe stand, dass es im Fairteiler in Kirchheim drei Gurken gibt. Da bin ich dann direkt mit dem Fahrrad hingefahren. Ich dachte mir, das ist ja eigentlich ‘ne geile Geschichte. Das ist genau meins, denn bei uns wird nie irgendwas weggeworfen, es wird immer alles verwertet. Ich bin völlig überzeugt von dem Konzept!
Was überzeugt Dich so sehr an diesem Konzept?
Dass die Supermärkte die Nahrungsmittel nicht mehr wegwerfen müssen, sondern diese weiter verwertet werden können. Und zwar nicht nur wie bei der Tafel, also an Menschen mit einem speziellen Ausweis, sondern dass jeder die Nahrungsmittel bekommen kann. Die Fairteiler stehen jedem zur Verfügung, egal ob Professor oder russische Oma, egal wem. Das hat mich sehr überzeugt.
Und nebenbei tut ihr auch was Gutes fürs Klima…
Fürs Klima tun wir insofern auch noch was Gutes, indem wir die Überproduktion, die immer noch stattfindet, ein bisschen runterfahren können.
Haben die Supermärkte in den letzten Jahren dem Überkonsum entgegengesteuert?
Leider nein, die Mengen sind leider nach wie vor unglaublich groß.
Wo nimmst Du deine Motivation her, foodsharing-Aktivistin zu bleiben?
Generell, es werden keine Lebensmittel weggeworfen und Du kannst unglaublich viel Geld damit einsparen. Die Meisten von uns müssen nicht mehr wirklich viel einkaufen gehen.
Spannend, dass Du das sagst, dass der finanzielle Aspekt auch ein Grund ist…
…ja ein riesengroßer, natürlich….
…aber viele Menschen haben diesen Aspekt eines klimafreundlichen Lebens gar nicht auf dem Schirm!
Ja, okay, Du steckst natürlich auch sehr viel Energie rein. Du fährst irgendwohin und schleppst die Kisten selber. Wenn man nicht wie ich ein Elektroauto hat, musst Du in Sprit investieren, Du musst in Dein Auto investieren. Als foodsaver bringst Du schon auch eine Gegenleistung dafür, dass Deine Lebensmittel umsonst sind. Aber jeder Abholer kann so viel behalten wie er möchte. Das ist das System. Jeder Abholer, der beim Supermarkt abholt, so wie meine foodsaving-Kollegin und ich gerade können die ganze Ladung vom Supermarkt an sich nehmen, dann ist nichts mehr für die anderen Personen übrig. (Einwurf: ich bin gerade gekommen, als Petra und eine andere foodsaverin mit vollgeladenem Auto vor dem Fairteiler ihres Hauses ankamen. Die ersten Menschen standen schon bereit, um sich etwas von dem Depot abzuholen.)
“Es werden keine Lebensmittel weggeworfen und du kannst unglaublich viel Geld damit einsparen. Die meisten von uns müssen nicht mehr wirklich viel einkaufen gehen”
Gab es hier mit dem Fairteiler vor Deiner Haustür schon mal Probleme?
Ich hatte mal mit 1- 2 Personen von foodsharing Probleme. Wenn viele Leute wissen, wann was kommt, z.B. weil ich vor der Ankunft an dem Fairteiler poste, dass ich in 20 Minuten mit einem vollgeladenen Auto mit tollen Sachen ankomme, dann kam es schon vor, dass 30 Menschen mit den Ellenbogen um die Lebensmittel kämpften.
Hast Du Dich in solchen Situationen auch schon mal hingestellt und Richterin gespielt?
Nein, das ist nicht mein Job und ich habe auch noch ein anderes Leben neben foodsharing. Einige bei foodsharing verlangen, dass die Abholer sich hinstellen, das Ganze moderieren oder das Essen gerecht aufteilen. Ich stelle schon mein Privatgrundstück zur Verfügung, habe die Regale und Kisten organisiert, hole noch die ganzen geretteten Lebensmittel ab und dann möchte ich mich nicht hinstellen und das Ganze aufteilen, sorry. Das sind die einzigen Schwierigkeiten, weil die „Kunden“ so gierig sind, das ist das Hauptthema, aber ansonsten gibt es keine Probleme.
Gab es am Anfang Hürden, als Du mit foodsharing begonnen hast?
Das schlimmste war am Anfang für mich, die Mengen zu sehen, die morgens auf dem Großmarkt in Mannheim weggeschmissen werden. Das kann sich kein Mensch vorstellen! Ich hab da teilweise nächtelang nicht geschlafen. Weil mir klar war, das werfen die alles weg. Wir hatten VW-Busse voll, wir hatten einen Sprinter von Stadtmobil Carsharing ausgeliehen, der war voll bis zum Anschlag! Wenn eine Euro-Palette, die bis zu 2 Metern hochgestapelt ist und in zwei Kisten sind vielleicht drei faule Äpfel drin, dann fliegt die ganze Palette raus.
Echt????? (Ich bin fassungslos) So viel????
Ja, echt! Das hat mir dann doch relativ lang zu schaffen gemacht. Das ist heute noch so, da hat sich nichts dran geändert.
„Das schlimmste war am Anfang für mich, die Mengen zu sehen, die auf dem Großmarkt weggeschmissen werden. Das kann sich kein Mensch vorstellen! Ich hab da teilweise nächtelang nicht geschlafen“
Dich hat dieser Anblick berührt, aber manchmal hab ich das Gefühl, dass es viele Leute gar nicht schockiert, was da passiert. Oder sie schauen nicht hin….
Das weiß ich nicht. Die foodsaver, vor allem die, die noch ein bisschen frischer dabei sind, haben auch kein Verständnis für die ganze Verschwendung, ich sag ihnen immer: „Du gewöhnst dich dran, du fragst irgendwann nicht mehr warum die das wegwerfen“. Da ist noch nicht mal das MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum) abgelaufen und die hauen es einfach raus. Ob das jemand nicht in Frage stellt, kann ich nicht beurteilen. Ich erlebe nur, dass die Leute fassungslos dastehen und den Kopf schütteln.
Aber sie sind ja auch foodsaver, das ist schon ein bestimmter Schlag Mensch, oder?
Richtig, mit anderen komme ich auch nicht so zusammen (lacht)! Mein Freundeskreis ist inzwischen so sensibilisiert, dass sie hier vorbeikommen oder sie sich freuen, wenn ich sie frage, ob ich ihnen was von den geretteten Sachen mitbringen kann. Die achten mittlerweile schon selbst drauf. Aber wie ansonsten Andere drüber denken, das weiß ich nicht. Wobei die Anderen ja die Kunden sind, wegen denen kein Apfel mit einer Macke im Regal zurückliegen bleibt oder weshalb der Bäcker bis abends um 21 Uhr noch alle Brotsorten dahaben muss, die er dann am nächsten Morgen wegschmeißt. Diese Erwartungshaltung, das ist ja Sache der Kundschaft.
Was hat sich seitdem in Deinem Leben verändert?
Ich habe mehr Geld zum Essen gehen (lacht)! Mein Mann und ich haben uns vor ein paar Jahren ein Wohnmobil geleistet. Wir haben eine Haushaltskasse und wie üblich kommt da eben am Anfang des Monats Geld rein, und das, was am Ende des Monats übrig ist – und es ist immer unglaublich viel Geld übrig – das kommt in eine extra Kasse. Von diesem ganzen Geld aus der Extra-Kasse gehen wir im Urlaub essen. Wir waren im Sommer fünf Wochen im Frankreich-Urlaub und dort konnten wir für 1000 Euro Essen gehen, weil ich mir die in den Monaten zuvor erspart hatte.
Wooow! Okay, also das finanzielle hat sich auf jeden Fall geändert…
Ja, das ist auch ein Stück Lebensqualität, ob du jeden Tag zweimal kochen musst oder ob du drei Mal in der Woche Essen gehen kannst.
Wie ist das eigentlich wenn foodsaver Lebensmittel irgendwo abholen wollen, werden ihnen dabei Steine in den Weg gelegt?
Wenn die foodsaver Lebensmittel irgendwo abholen wollen, ist das immer eine Kooperationsfrage zwischen den Betrieben und foodsharing. Es gibt Vorgaben, dass große Ketten nicht abgeholt werden dürfen Aldi, Lidl usw. geht noch nicht, einige andere gehen in der Zwischenzeit, aber das passiert alles auf Bundesebene. Von inhabergeführten Betrieben dürfen wir abholen. Aber z.B. ein Edeka, der nur einen Betriebsleiter hat, wiederum nicht. Das ist ganz klar geregelt, was foodsharing darf und was nicht. Jedoch liegt das nicht an den einzelnen Städten und Gemeinden. Also da gibt es eigentlich keine Steine, die da irgendwem in den Weg gelegt werden.
Hast Du noch Alltagstipps für uns, wie sich Menschen klimafreundlicher verhalten können?
Du kannst dir ein Hochbeet auf deinem Balkon anlegen und deine eigenen Tomaten ziehen. Was ich auch ganz toll finde, sind die essbaren Gärten, die es jetzt in den Städten gibt, wo jeder ein bisschen anpflanzen und ernten kann. Leimen hat in diese Richtung jetzt auch etwas Neues angefangen: Obstbäume, die am Wegesrand stehen und der Stadt gehören, darf man jetzt abernten. Das sind alles so Kleinigkeiten, aber in der Summe summiert es sich dann.
„Wir konnten im Urlaub für 1000 Euro Essen gehen, weil ich mir die in den Monaten zuvor erspart hatte“
Gibt es in Leimen sonst noch andere Gruppen, die sich mit dem Klimaschutz beschäftigen?
Es gibt die Lokale Agenda 21, die kümmern sich z.B. um Wanderwege. Zudem gibt es eine Bürgerenergiegenossenschaft, da sind wir auch Gründungsmitglied und im Aufsichtsrat. D.h. die Genossenschaft kauft Solaranlagen auf städtischen Dächern und betreibt sie, der erzeugte Strom wird ins Netz eingespeist. Wir haben Genossenschaftler, die dann ihre Anteile kaufen oder verkaufen können. Das ist Klimaschutz im ganz direkten Sinne. Außerdem gibt es 7 Bücherregale in Leimen und es wurden Hofflohmärkte organisiert. Fand ich auch ganz nett, da konntest du dich einfach anmelden und sagen, nächste Woche Samstag mach ich einen Hofflohmarkt, und das wurde dann veröffentlicht.
Stell dir vor, es gäbe keinen politischen Apparat, sondern nur eine Klimafee, was würdest Du Dir wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Forschung und Wissenschaft in die Speicherung von Solarkraft gesteckt würde. Die Sonne da oben produziert so viel Energie, die wir in unserem ganzen Leben nicht verbrauchen können. Da könnte ich jetzt drei Seiten drüber erzählen, aber du weißt, was ich meine. Das z.B. die Speicherkapazitäten so hoch werden, dass auch an bedeckten Tagen die Menschen versorgt werden können. Bessere Nutzung der Sonnenenergie, mit allen Konsequenzen, mit allen Richtungen, in die das geht.
Bilder: Petra Goerke privat