Solidarisch Wirtschaften – wie kann das funktionieren? Weltweit verbreiten sich viele neue Ansätze. Es geht um die Frage, wie wir das schaffen und im Einklang mit unserer Umwelt leben können. Einer davon ist die in Deutschland verbreitete Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Was macht sie aus? Wer gehört alles dazu? Und wie lässt sich das Konzept in der Rhein-Neckar-Region leben? Darüber spreche ich mit Joachim Langer und Walter Kern. Sie haben sich diesem solidarischen Wirtschaftskonzept verschrieben und sind aktiv in der Regionalgruppe Gemeinwohl-Ökonomie Rhein-Neckar.
Meine Interviewpartner
Persönlich engagieren sich die beiden schon lange für den Klimaschutz. Joachim beschäftigt sich seit dem Geografie-Studium mit der Klimaentwicklung und seinem ökologischen Fußbadruck. Das wirkt sich auf seinen Alltag aus. Zum Beispiel ist das eigene Auto abgeschafft. Stattdessen werden Carsharing und das Rad genutzt. (Siehe auch unseren Beitrag zur Mobilitätswende in Wiesloch.) Ihm ist es wichtig, den eigenen Fußabdruck zu reduzieren. Gleichzeitig fragt er sich, wo man an die persönlichen Grenzen kommt und es schließlich systemische Lösungen braucht.
Walter war hin- und hergerissen, ob er sich mit Finanzen oder dem Klima beschäftigen sollte. Er kam zu dem Schluss, dass Finanzen für ihn die größere Hebelwirkung haben, Dinge zu verändern. Persönlich versucht er alles, was geht in puncto Klimaschutz. Er nutzt Solarenergie oder heizt seinen Kamin mit Biomasse. Auch mit dem E-Bike schafft man die langen Strecken. Das Auto hat er weiterhin, weil die Verkehrsinfrastruktur vor der Haustür es (noch) nicht zulässt. Aber hat er sich ein E-Auto von einem Start-up bestellt, dass auf Solarenergie setzt. Die Lieferung steht noch aus, denn das Unternehmen tut sich schwer mit der Finanzierung. „Oft scheitert es am Geld“, sagt er, „wenn man Sachen fürs Klima tun will.“
Gemeinwohl-Ökonomie – Was ist das?
Da sind wir schon beim Thema Ökonomie. Besser gesagt Gemeinwohl-Ökonomie. Aber was ist das eigentlich?
In Joachims Worten: „Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Wirtschaftssystem, dass dazu führt, dass es allen – Mensch und Umwelt – gut geht. Der Kerngedanke lautet, dass das Engagement des Einzelnen am Ende nicht ausreicht, sondern es eine ethische Wirtschaftsordnung braucht. Es geht darum, auszuloten, wie sie ausschauen kann und was sie braucht. Damit wir das Ziel erreichen: ein gutes Leben für Mensch und Umwelt.“
Walter setzt noch den Teil zu Finanzen drauf. „Gemeinwohl-Ökonomie ist ein wertebasierter und ganzheitlicher Ansatz. Es geht nicht nur ums Klima, sondern auch um soziale und ethische Aspekte. Wichtig ist es, die Rahmenbedingungen zu verändern. Damit die, die nachhaltig wirtschaften, nicht benachteiligt werden. Sondern die, die es eben nicht tun. Denn Geld wird auf die eine oder andere Weise immer von Bedeutung sein. Daher sollten wir uns das Rahmenwerk genau anschauen. Mich überzeugt es, diesen Finanzhebel zu nutzen.“
Sie erzählen mir mehr von der Entstehungsgeschichte. 2010 veröffentlichte Christian Felber das Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“. Mit dem Modell der Gemeinwohl-Matrix kann eine gemeinwohlorientierte Organisationsentwicklung von unternehmerischen wie auch gemeinnützigen Tätigkeiten geschaffen werden. Die Matrix setzt die Maßstäbe, mit der ein Gemeinwohl-Bericht entsteht.
Welche Motivation steckt dahinter?
Ungefähr zur gleichen Zeit fragten sich Unternehmerinnen, wie sie gezielt nachhaltig wirtschaften können und orientierten sich an diesen Maßstäben. Die theoretische und praktische Ausarbeitung lag also nah beieinander. 2012 wurde Rhein-Neckar eine der ersten Regionen, in der der gemeinnützige Verein aktiv wurde. Unter den Gründer*innen waren Uwe Treiber, der Geschäftsführer von Sonnendruck aus Wiesloch. Uwe Treiber hat mittlerweile schon drei GWÖ-Bilanzen gemacht und gilt als Pionier in dem Bereich. Auch Auditorin und Beraterin Ulrike Häußler ist aus der Gründungszeit mit dabei.
Was aber hat die beiden motiviert, sich in der GWÖ zu engagieren? Bei Joachim begann es mit einem Literaturtipp zu besagtem Buch. Der ganzheitliche Ansatz überzeugte ihn auch als Geograph, der vom kleinen aufs Ganze schaut. Es interessiert ihn, diese sozialen und ethischen Werte zum Maßstab zu machen. 2015 kam er zur GWÖ Rhein-Neckar dazu. 2018 hing er seinen Job an den Nagel, um sich ganz der GWÖ zu widmen.
„So weit bin ich noch nicht“, meint Walter verschmitzt und wir lachen. Aber auch bei ihm wird es ein immer ausdrücklicherer Schwerpunkt im Leben. Er lernte die GWÖ kennen, als er von 2014 bis 2019 bei SAP im Betriebsrat arbeitete. Zur Arbeit gehörte es auch, sich mit Unternehmen in der Region auszutauschen. So besuchten sie auch Uwe Treiber von Sonnendruck und er erfuhr vom Konzept. Als er dann das Buch dazu las, ging es ihm ähnlich wie Joachim.
Gemeinwohl-Ökonomie und Klimaschutz
GWÖ dreht sich also nicht nur um den Menschen, sondern auch um die Umwelt. Was hat das jetzt mit Klimaschutz zu tun? Joachim meint dazu: „Ziel der GWÖ ist ein gutes Leben für Mensch und Umwelt. Und mit unserem Ökosystem müssen wir eben sorgsam umgehen. Bereits jetzt sterben Menschen an den Folgen des Klimawandels oder flüchten davor. Wir haben definitiv das Ziel einer guten Wirtschaft aus den Augen verloren. Die Idee der Gewinnmaximierung dominiert unser Handeln und damit fehlt uns der Blick für das Wesentliche. Deswegen sollten wir etwas an unserer Wirtschaftsweise ändern.“
„Es ist nicht nur eine Sparte, sondern eine ganze Spalte in der Matrix, in der das Thema Ökologie zum Tragen kommt“, erzählt Walter weiter. „Dabei geht es um nachhaltige Lieferketten, Investitionen in ökologische Nachhaltigkeit von Unternehmen und Kapitalnutzung. Zugleich stellt sich das Problem, dass Klimaschutz sich in unserem heutigen System rechnen muss. Warum? Weil Geld nicht mehr das Mittel ist, sondern zum Zweck erhoben wurde. Die Profitmaximierung ist letztlich nichts anderes, als aus Geld mehr Geld zu machen. Die GWÖ sieht das anders. Ökologische Nachhaltigkeit ist das Ziel und Geld ist eben nur ein Mittel.“
Am Anfang habe ich schon erwähnt, dass es weltweit Ansätze zu solidarischen Ökonomien gibt. Die Ansätze haben nicht nur andere Namen wie Buen vivir (besonders verbreitet in Lateinamerika) oder die degrowth-Bewegung. Sondern sie unterscheiden sich auch in ihrer Organisationsform und ihrer Ausrichtung. Ein kleines Glossar findet sich hier.
Gemeinwohl-Bilanz kurz erklärt
Was gehört zu so einer Gemeinwohl-Bilanz? Es geht mehr als um ein Bio- oder Fairtrade Zertifikat. Es wird auch auf das Verhalten in den Unternehmen geschaut. Wie fördern z. B. Unternehmen die ökologische Nachhaltigkeit bei ihren Mitarbeitenden? Wie sind die Produkte, wie ist der Service, der Bezug mit den Kundinnen? Joachim und Walter erzählen mir, dass die GWÖ sich nicht nur auf Unternehmen beschränkt. Sondern auch andere Organisationen, Gemeinden, Schulen und Universitäten, NGOs miteinbezieht. Letztlich kann jede Form von Organisation eine GWÖ-Bilanz erstellen. „Was tut man in Richtung Gesellschaft?“ ist die grundlegende Frage. Klimaschutz ist hier nicht das prägnanteste Thema aber damit allein sei es auch nicht getan, meinen die beiden.
„Einfach gesagt ist das Ziel recht banal“, meinte Joachim. „Aber es soll sich ja an alle richten, dieses Ziel. Vom Haushalt bis zum Unternehmen. Es soll Sinn stiften in unseren Produkten und unserer Arbeit. Die Hoffnung für mich, dieses Ziel zu erreichen, bleibt. Denn ich sehe viele kleine Initiativen und besonders kleine und mittlere Unternehmen, die dieses Ziel angehen. Und es geht nicht nur um eine Finanzierung, sondern auch um Umverteilung. Wir haben hier zu viel (s. unser ökologischer Fußabdruck) – wenn es um Gerechtigkeit geht, heißt es daher: abgeben!“
Spannende Projekte in Rhein-Neckar
Damit kommen wir zum letzten Gesprächsabschnitt. Wie wirkt sich diese Arbeit und Projekte des Vereins auf die Rhein-Neckar-Region aus? Angefangen hat es mit Unternehmen, die eine GWÖ-Bilanz machen. Aus der Rhein-Neckar-Region sind mittlerweile einige dabei. Ein Blick auf die Liste zeigt: Neben Sonnendruck sind auch TeamWeitblick, Stadtmobil Rhein-Neckar AG, WBS TRAINING, die Mannheimer Gründungszentren gmbh, und die Steuer- und Wirtschaftsprüfungs- Kanzlei Hans-Peter Heinrich eingestiegen. Dann gibt es noch das Netzwerk Geld-Kompass, über das wir uns auch kennengelernt haben. Beim Geld-Kompass geht es um die Frage, wie Geldflüsse in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden können. Die Idee ist, Geld eine sinnvolle Orientierung zu geben – eben es nachhaltig anzulegen. Die Projektliste wird stetig erweitert und Bildungsangebote gibt es regelmäßig in Form von Exkursionen und Vorträgen.
Ein großes Projekt, das im GWÖ-Verein Ba-Wü gerade Fahrt aufnimmt, ist Gemeinden, die GWÖ näher zu bringen. Denn Kommunen sind wichtige Akteure, die eigene Wirtschaftsmaßstäbe setzen können. Sie entscheiden z. B. ob die Wirtschaftsförderung nach sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichtet wird oder nicht. Also ob die Klima-Erwärmung weiter angeheizt wird und z. B. Flächen weiter versiegelt werden. Ob konsequent Fuß- und Radwege sowie der ÖPNV ausgebaut und gleichzeitig der Auto-Verkehr reduziert wird – oder eben nicht. Darum gibt es nun auch ein Arbeitsbuch mit einer Matrix für Kommunen. Besonders Joachim baut in Heidelberg und Umgebung den Kontakt zu Gemeinderätinnen auf. Es gibt ein monatliches Mail-Angebot und eine Online-Konferenz für Gemeinderätinnen aus ganz Baden-Württemberg. Ziel ist es, die GWÖ bekannt zu machen und sich zu aktuellen Themen auszutauschen. So werden möglichst konkrete Angebote gemacht, um die GWÖ vor Ort umzusetzen.
Bildungsarbeit zu wirtschaftlichen Themen stärken
Ein weiterer Grundpfeiler ist die Bildungsarbeit. Es braucht gute Materialien für junge Leute, Schülerinnen, Studierende, Dozierende mit Interesse an der Wirtschaft. Daher wurde u. a. ein Planspiel entworfen, um zu zeigen: Welche sind die relevanten Hebel in der Wirtschaft? Wie wird Ausbeutung durch unser Wirtschaftssystem ermöglicht? Was lässt sich ändern? Auf der GWÖ-Homepage gibt es viele Materialien zum Herunterladen. GWÖ-Bildungsreferent*innen mit entsprechender Erfahrung gehen an Schulen und Unis und arbeiten mit dem globalen Klassenzimmer im Welthaus zusammen.
Ein neues Projekt richtet sich seit letztem Jahr gezielt an Kirchengemeinden. Weil die dürfen ehrlich sagen, „wir haben zu viel“, ohne direkt in eine Kontroverse zu kommen. Die Kirchen als treibende Kraft der Transformation, können dazu beitragen, die Gesellschaft zusammenzuhalten und vor weiterer Spaltung zu schützen. Es gilt Kooperationen zu schaffen und Suffizienz (Genügsamkeit) zu fördern, sagen die beiden. Die Politik ist hier noch viel zu sehr auf die jeweilige Parteilinie fixiert und zu wenig auf das Gemeinwohl.
Ein Zitat zum Schluss
Walter hat die heitere Angewohnheit hat, Zitate zu streuen. Wir schließen das Gespräch mit einem von der Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows:
„If you define the goal of a society as GNP, that society will do its best to produce GNP. It will not produce welfare, equity, justice, or efficiency unless you define a goal and regularly measure and report the state of welfare, equity, justice, or efficiency.”
“Wenn man das Ziel einer Gesellschaft als Bruttosozialprodukt (BSP) definiert, wird diese Gesellschaft ihr Bestes tun, um BSP zu produzieren. Es wird kein Wohlergehen, Gleichheit, Gerechtigkeit oder Effizienz hervorbringen, es sei denn, Sie definieren ein solches Ziel und messen und berichten regelmäßig den Zustand des Wohlergehens, der Gleichheit, Gerechtigkeit oder Effizienz.”
Donella Meadows in Thinking in Systems: A Primer [Die Grenzen des Denkens: Wie wir sie mit System erkennen und überwinden können] (2008) – freie Übersetzung aus dem Englischen.
Zusammengefasst: Was gemessen wird, wird auch kontrolliert. Also liegt es an uns, welche Maßangaben wir vorgeben.
…apropos Messung. Hast du schon an unserer kleinen Blog-Umfrage teilgenommen? Es dauert nur 2 Minuten und ist anonym. Damit hilfst du uns, den Blog stetig weiter zu entwickeln.