Dieser Bericht zur Mobilitätswende in Wiesloch ist deutlich umfangreicher geworden. Wer hätte das gedacht … Daher erscheint der Bericht nun in zwei Teilen. Im November erzähle ich euch von Manfred Stindl, der in Wiesloch lebt und dort u. a. als Vorstand im Verkehrsclub Deutschland (VCD) aktiv ist. Mit ihm spreche ich darüber, was sich in puncto Mobilität in den letzten Jahrzehnten in Wiesloch verändert hat.
Der zweite Teil, der im Dezember veröffentlicht wird, widmet sich den Mobilitätsprojekten in Wiesloch. Getreu unserem Motto “Gute Klimanachrichten”, möchte ich euch zeigen, welche Geschichten hinter den noch so kleinsten Verkehrsprojekten stecken.
Ankunft in Wiesloch
Am frühen Morgen fahre ich mit dem Bus über die Landstraße nach Wiesloch. Die Straße, auf der ich ankomme, ist sehr verkehrsintensiv und aufgeheizt. Auf dem Fußgängerweg bleibt nicht viel Platz und ich quetsche mich ungern durch den Personenverkehr. Schließlich biege ich in den Altstadtkern ab. Da ist gerade Markt und mir fällt sofort auf: Es ist verkehrsruhig.
Manfred hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Es ist Sommer warm und wir sitzen im Garten. Wir sind schon tief im Gespräch über Mobilitätsthemen in der Rhein-Neckar-Region, als ich die Aufnahme starte. Also nochmal von vorn. Was macht sein persönliches Engagement für den Klimaschutz aus?
Er denkt erst mal nach. Da wären die Solarkollektoren auf dem Dach, ein Blockheizkraftwerk im Keller und der Wunsch, das Haus dämmen zu lassen. Persönlich fährt er – in Sachen Mobilität – seit den Neunzigern mit gemischten Verkehrsmitteln. Sein bevorzugtes Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad. Bei schlechtem Wetter greift er auf den Nahverkehr zurück, sonst hat er auch ein Auto. Was er kaum braucht. Und er ist überzeugter Carsharer.
Nicht mehr wissend wie oder warum, ist er in den Achtzigern zum VCD in Heidelberg gestoßen. Als er 1990 nach Wiesloch umzog, verkürzte sich der Weg zur Arbeit und daraufhin nutzte er konsequent das Fahrrad. Der Dienstwagen blieb fortan oft stehen. Am Ende ging das Auto 1994 zurück, weil ein festbezahltes Auto sich bei dem geringen Kilometerstand nicht mehr lohnte. Um sicherzustellen, dass er und seine Frau dauerhaft kein eigenes Auto brauchen, wurde das Konzept CarSharing attraktiver. Zu dem Zeitpunkt fehlte das in Wiesloch.
Die 90er: ÖkoStadt und das Teilauto
Wie kam es in einer kleinen Stadt wie Wiesloch zum Carsharing? Was ist davon geblieben? Und was hat sich seitdem verändert? Das von Ökostadt initiierte Projekt „Teilauto“ – wir befinden uns in den Neunzigern, Anglizismen sind weniger verbreitet – stellt damals ein Auto bereit. Später wird daraus Stadtmobil Rhein-Neckar als GmbH werden.
Am Anfang fanden sich acht Leute für das „TeilAuto“. Manfred meint, wahrgenommen war es wie das eigene Auto, das mit Freunden geteilt wird.
Es lief nicht alles von selbst. Damit es nachhaltig und dauerhaft bleibt, sollte man sich dahinterklemmen, findet Manfred und das, wenn nötig über Jahre hinweg. Mit den wenigen Menschen bekam man das Auto nicht ausgelastet und die Idee war nicht weit verbreitet. Es folgten Zeitungsinserate und Aushänge, doch es blieb ein „zähes Geschäft“. Damals gab es nicht die Technik, weder für das Auto noch für die Werbung über soziale Medien, auf die man heute zurückgreift. Doch der Druck, kein eigenes Auto zu besitzen, nahm erheblich ab.
Heute erhält man bei Stadtmobil eine personalisierte Karte, mit der das Auto geöffnet wird. Damals gab es die Telefonkette, um herauszufinden, wer den Schlüssel hatte. Später kam ein zentraler Schlüsseltresor dazu. Dafür stapfte Manfred von Tür zu Tür, um einen Hauseigentümer zu finden, der einen in der Wand anbringen lassen würde. Damals setzte sich die stellvertretende Bürgermeisterin ein und fand beim Inhaber eines Getränkemarkts einen geeigneten Standort. Manfred meint dazu nur trocken, „ich habe nicht erwartet, dass bei einer tollen Idee sich alle darauf stürzen.“
Die Wartung wurde selbst übernommen, Manfred machte quasi den Wagenwart. Reifendruck prüfen, Ordnung halten, Werkstattfahrt. Es gab Fahrtenbücher, um zu gucken, wer gefahren ist. Einmal im Monat schickte man die Fahrtenbücher nach Mannheim zur Abrechnung. Heute macht das alles der Service von Stadtmobil.
Ein nachhaltiges Verkehrsnetzwerk aufbauen
Was hat sein Engagement und das der anderen Carsharer ausgemacht? Alle, die am Projekt von Ökostadt in Wiesloch teilnahmen, hatten eine Vision. Ihr Ziel: dass man ohne eigenes Auto in Wiesloch leben kann. Manfred ist sich sicher: Das geht. Wenn die Menschen in Wiesloch am Carsharing interessiert waren, wurden sie an ihn verwiesen. Bis vor Kurzem schloss er selbst noch regelmäßig Carsharing-Verträge ab.
Wer nutzt denn so dieses Angebot in Wiesloch? Dazu fällt ihm gleich eine Geschichte ein, die ihn beeindruckt hat. Es war eine Frau, die gerade aus der Großstadt hergezogen kam. Sie meinte, für sie sei das Carsharing in Wiesloch ideal. „Was macht man hier mit dem Auto?“, hat sie gefragt. „Der nächste Stellplatz ist nah und dann ist da noch die S-Bahn.“ So in etwa der Inhalt.
Nun bestehe die Idee, dass Großstädter sich eher aufregen und über den Halbstundentakt einer S-Bahn beschweren. „Jetzt ist Wiesloch kein Dorf. Inzwischen ist es gut möglich, ein sehr brauchbares energiefreundliches Verkehrsnetz zu nutzen“, meint Manfred. Ein gemischtes Verkehrssystem zu nutzen, ist ihm ein besonderes Anliegen. Das bedeutet, Verkehrsmittel aufeinander abzustimmen und die Infrastruktur zu verbessern.
Seit Manfred mit dem VCD bzw. move21 der Ortsgruppe des VCDs in Wiesloch aktiv ist, hat sich allgemein viel getan. Früher gab es den typisch ländlichen Busverkehr, der aus einem Schulbus mit wenigen extra Fahrten bestand. Auf der Bahnstrecke gab es den typischen Überland-/Eisenbahnverkehr. Alles eher sporadisch und nicht aufeinander abgestimmt. Seitdem hat sich auch mithilfe des VCDs enorm viel verändert. Das System ist insgesamt verlässlicher abgestimmt worden. Wiesloch bekam eine S-Bahn, welche die Qualität der Verbindungen signifikant verbesserte. Die fährt heute fast bis Mitternacht und halbstündlich. Seit 1996 fährt ein Stadtbussystem im Halbstundentakt und abends und am Wochenende im Stundentakt. Wenn man mit dem Fahrrad nun zur S-Bahn will, greift man inzwischen auf eine bessere Fahrradinfrastruktur zurück. Soll das Fahrrad länger parken, gibt es nun zwei Fahrrad-Parkhäuser am Bahnhof für 6 Euro im Monat der Stellplatz. Und was Carsharing betrifft, gibt es zehn dieser Autos in Wiesloch.
„Einen Zwischenstopp in London, einen Crêpe essen in Paris und in Glasgow noch ein paar Bier trinken. Ich glaube vielen ist nicht klar, wie viel Spaß es machen kann Unwegsamkeiten in Kauf zu nehmen“
Jadga aus Leimen zum Thema Reisen mit Bus und Bahn in unserem Beitrag Systemwandel und Verhaltensänderung: zwei Seiten derselben Medaille?
Wie schaffe ich den Umstieg aufs Rad?
Jeden Tag mit dem Fahrrad zu meistern und auf verschiedene Verkehrsmittel zurück zu greifen, klingt erstmal nicht einfach. Ich frage ihn, wie er das macht.
„Ich war früher Schönwetterfahrer und wehe, ich bin mit dem Fahrrad mal von der Arbeit nach Hause gefahren und es hat geregnet. Die typische Aussage: Ausgerechnet heute muss es regnen!“ Wir beide lachen, den Satz kennen wir zu gut. „Nach dem Umzug bin ich komplett aufs Fahrrad umgestiegen. Wenn nicht Rad, dann Bus. Es war erstaunlich, wie sich mein Verhältnis zum Wetter änderte. Wenn man jeden Tag fährt, stellt man fest, dass es gar nicht so oft regnet. Ich brauche nicht den ganzen Tag schönes Wetter, nur weil ich morgens zur Arbeit fahre. Ich brauche die Viertelstunde, wo es auf dem Hinweg möglichst trocken ist. Der Rückweg ist mir egal, weil ich mich zu Hause umziehen kann.“
Das Wetter mag eine gemütliche Ausrede für uns Fahrradfahrer*innen sein. Manfred macht deutlich, dass es Einstellungssache ist. Es heißt nicht mehr, „wie ist heute das Wetter, kann ich Fahrrad fahren? “ Sondern „wie ist heute das Wetter, was soll ich anziehen?“ Bei der Arbeit sorgte das für Verwunderung. „Kollegen haben mich gefragt, wie ich das mache mit dem Fahrrad zur Arbeit zu kommen. Meine Standardantwort wurde: ‘Ich habe versucht mit meinem Arbeitgeber zu verhandeln, aber der sagte, ich muss auch bei dem Wetter kommen.’ Wenn es abends warm und trocken war und ich sah, wie alle in ihre Blechkisten klettern, dann freute ich mich, nicht mit dem Auto da zu sein.“
Unter dem Motto Verkehrswende selber hacken, wurde 2019 beim 36. Kongress des Chaos Computer Clubs, ein Konzept vorgestellt, Verkehrssysteme besser aufeinander und die Nutzer*innen abzustimmen. In Karlsruhe wird das in ähnlicher Weise mit regiomove ausprobiert.
Verkehrswende in Wiesloch mitgestalten
Politisch ist man auf einer Wellenlänge in Wiesloch und die Verwaltung ist Mobilitätsthemen gegenüber aufgeschlossen. „Wir haben da öfter offene Türen eingerannt.“ Zwar gibt es in Wiesloch wie üblich für viele Gemeinden kaum Geld, aber das Fahrrad wird im Stadtverkehr fest mitgedacht. Besonders die vom Tiefbauamt sind engagiert.
Ja, es gibt da noch viele „Wurschtelecken“, die ausbaufähig sind. Doch wenn man das über die Jahre zusammenfasst, ist viel passiert. Dort mal ein Radstreifen, ein zusätzlicher Fahrradweg, Bordsteinabsenkung, Sicherungspfähle etc. „Es gibt ein Radverkehrskonzept in Arbeit, da sind wir beteiligt und haben unseren Senf dazugegeben. In der Innenstadt findet nun ein größerer Umbau statt.“
Auch im Autoverkehr wird sich was ändern, denn Städte nehmen nun Preise für das Anwohnerparken. Vorher durfte das nur eine Verwaltungsgebühr von max. 30,70 Euro im Jahr kosten. Die Reform der Straßenverkehrsordnung erlaubt nun Preise zu erheben. Für Befürworter autofreier Städte ist das der Schritt in die richtige Richtung. Denn das kann weniger Autos im Stadtverkehr bedeuten, die viel Platz einnehmen.
Damit beteiligt sich move21 politisch in Wiesloch. Und es hat viel Spaß gemacht, meint Manfred. Neue Leute hat er kennengelernt und inzwischen besteht ein gutes Verhältnis zur Stadtverwaltung. Es ist einfach sein Thema.
Wie geht es weiter?
Nächsten Monat erzähle ich euch von den Projekten, die in Wiesloch stattfinden. Ich möchte euch zeigen, wie Verkehr anders und insbesondere nachhaltig geht, wenn auch nur für einen Tag. Interesse geweckt? Dann schaltet doch am 23.12 wieder auf den Blog oder tragt euch in unseren Newsletter unten ein, um die zweite Folge als Erste zu lesen.
- Titelbild: Einweihung erstes TeilAuto 1996. Von Manfred Stindl bereitgestellt.
- Bild 1: Nachgestellte Carsharing-Einweihung 20 Jahre später (2016). Von Manfred Stindl bereitgestellt. Filter angewendet.
- Bild 2: Kärtchen zum Taktfahrplan in Wiesloch vom VCD. Von Manfred Stindl bereitgestellt.
- Bild 3: Pulkradeln 2014 in Wiesloch. Von Manfred Stindl bereitgestellt. Filter angewendet.
Wunderbare Pionierarbeit! Vielen Dank!